Amorphis – Tales From The Thousand Lakes (Live At Tavastia)
Ich kann mich noch sehr gut erinnern. Vor genau 30 Jahren, im Juli 1994, stand die Metalwelt ganz plötzlich Kopf.
Eine Death Metal Band aus Finnland wollte sich von allen alten Fesseln lösen und etwas Neues wagen. Nachdem sie bereits auf dem Vorgängeralbum „The Karelian Isthmus“ ganz vorsichtig, um nicht zu sagen, schüchtern Melodien aus der finnischen Folklore einfließen ließen, gingen sie mit dem zweiten Album „Tales from the Thousand Lakes“ all-in.
AMORPHIS waren über Nacht in aller Munde. Presse und Fans überboten sich mit Superlativen, egal wohin man ging… AMORPHIS waren überall Thema.
Ich denke z.B. an das Dynamo Open Air, auf dem bei den Zeltnachbarn das komplette Wochenende über genau eine Kassette auf Autoreverse lief. Ich muss, glaube ich, nicht erwähnen, dass eine Seite des Tapes mit „Tales…“ bespielt war.
Dabei war der Erfolg dieses Albums ganz und gar nicht berechenbar. Die Band sprengte massenhaft Grenzen, was genauso gut ein Schuss in den Ofen hätte werden können. Ihrem Grundgerüst, das durchaus sein Fundament noch im 90er Jahre Death Metal hatte, fügten die Jungs Doom Metal, finnische Folklore und Clean-Gesang hinzu (dieser wurde damals von Ville T, dem Sänger von Kyyria, beigesteuert). Das Ganze zudem hochmelodisch, und es gab Keyboards, ja genau, diese fiesen Tasteninstrumente, die sonst nur die Popper benutzen. Und genau DAS funktionierte.
Massig waschechte Hits, dazu Straßenfeger der Sorte „Black Winter Day“, das in wirklich jeder Metaldisco rauf und runter lief. Der Durchbruch war da. Dass die Jungs erst 10 Jahre später den ersten Cent für ihre Musik gesehen haben, macht das Ganze umso trauriger. Die Geschichte dazu gibt es in der offiziellen Biografie, die vor einigen Jahren erschienen ist.
Amorphis – Tales From The Thousand Lakes (Live At Tavastia)
Ein Schritt in die Zukunft
Jetzt, 30 Jahre später, kommt das Album zu neuen Ehren. Ursprünglich als Livestream während Covid geplant, wurde das Material allerdings zurückgehalten und wird jetzt als Livealbum auf Vinyl und CD/Blu-ray veröffentlicht.
Zunächst einmal fällt auf, dass es zwischen den Songs totenstill ist. Das ist natürlich darauf zurückzuführen, dass es bei der Aufzeichnung kein Publikum gab. Was zunächst befremdlich wirkt, schafft auf der anderen Seite auch eine beklemmende Atmosphäre. Zudem lenkt es die Konzentration zu 100% auf die dargebotenen Songs, die 1:1 in der Reihenfolge des Originalalbums gespielt werden.
Wurden auf dem 94er Output noch alle Growls von Tomi Koivusaari übernommen, stellt sich die Situation 2024 natürlich etwas anders dar. Die meisten Clean- und Growlparts singt logischerweise Tomi Joutsen. Aber – und das freut mich besonders – Koivusaari übernimmt hier und da einige Growls. Meistens dann, wenn Joutsen mal kurz atmen muss oder vor dem Wechsel in einen Clean-Part steht. Allein diese Kleinigkeit bringt so viel vom ursprünglichen Spirit zurück, dass es eine wahre Freude ist.
Ein weiterer, für mich sehr wichtiger Faktor ist, dass Originalbassist Olli-Pekka Laine seit ein paar Jahren wieder fester Bestandteil der Band ist. Dieser bringt durch sein ausladendes Spiel eine weitere, wichtige Facette in den Bandsound zurück.
Die Band spielt zudem äußerst tight und sauber. Ich glaube auch nicht, dass hier besonders viel im Studio overdubbed wurde. Dafür klingt es dann doch zu live.
- Als Zugabe gibt es dann auch noch „Vulgar Necrolatry“ vom Debüt sowie „My Kantele“ vom Nachfolger Elegy.
Fazit:
Amorphis ist es gelungen, ihren 30 Jahre alten Meilenstein mit ganz viel Respekt ins Jetzt zu portieren. Das ganze Album macht richtig Spaß. Es klingt modern, ohne das all zu viel verändert wurde. Dafür kann man der Band nur danken. Es gibt zahlreiche Beispiele, wie es nicht gemacht werden sollte.
Tales From The Thousand Lakes (Live At Tavastia) erscheint am 12.07.2024 auf Reigning Phoenix Music.
Trackliste:
- Thousand Lakes
- Into Hiding
- The Castaway
- First Doom
- Black Winter Day
- Drowned Maid
- In The Beginning
- Forgotten Sunrise
- To Father’s Cabin
- Magic And Mayhem
- Vulgar Necrolatry
- My Kantele
Bildnachweis: Reigning Phoenix Records.
+ Respektvolle Live interpretation eines Jahrundertwerks
+ Top Sound
+ Allgemein eines der besten Metalalben aller Zeiten
- Keine echte Live Atmosphäre aufgrund fehlenden Publikums