Absolute Elsewhere
Stellt euch mal vor, jemand versucht euch seine Band mit folgenden Worten zu beschreiben:
„Wir sind eine Old-School-Death-Metal-Band aus den 90ern, die 70er-Jahre-Progrock in der Zukunft spielt.“
Na, verwirrt?
Genau so beschreibt der Gitarrist und Sänger Paul Riedl seine Band Blood Incantation.
Und wisst ihr was? Die Beschreibung passt wie die Faust aufs Auge.
Vorgeschichte
Gegründet 2011 und ursprünglich im Tech-Death-Metal unterwegs, stark beeinflusst von Bands wie Morbid Angel, veröffentlichte die Band aus Denver, Colorado, 2019 ihr zweites vollwertiges Album „Hidden History of the Human Race“. Mit diesem Werk erreichten sie erstmals ein größeres Publikum. Dann kam Covid, und es wurde etwas ruhiger in der Welt. In dieser Zeit nahm die Band ein weiteres Album auf, „Timewave Zero“. Wer jedoch eine Fortsetzung von „Hidden History…“ erwartete, wurde eines Besseren belehrt: Blood Incantation lieferte ein reines Ambient-Album ab und stieß damit einige Fans vor den Kopf.
Springen wir zwei Jahre vor. Drummer Isaac Faulk hat sich in der Zwischenzeit mit seinen anderen Bands Stormkeep und Wayfarer ausgetobt und schreibt erste Riffs für ein neues Blood-Incantation-Album. Die Sterne stehen gut.
Gemeinsam mit seinen Bandkollegen entstehen zwei Longtracks. Der Kontakt zu Produzent Arthur Rizk wird hergestellt, und auf dessen Vorschlag hin entscheiden sie sich, das neue Album in den legendären Hansa Studios in Berlin aufzunehmen.
Soviel zur Vorgeschichte.
Auf nach Berlin
Obwohl Blood Incantation mit einem fast fertigen Album nach Berlin reisen, lassen sie sich die Möglichkeit offen, Elemente vor Ort zu ändern. Während der einwöchigen Vorproduktion saugt die Band die Atmosphäre Berlins auf, und die Songs entwickeln teilweise neue Tempi und Strukturen. Als Gastmusiker wird Tangerine-Dream-Kopf Thorsten Quaeschning eingeladen, der spontan ins Studio kommt, um sich den Fortschritt anzuhören und diverse Synthesizer-Parts beizusteuern.
Das Ergebnis ist ein Album, das sowohl die alten Trademarks der Band als auch zahlreiche neue Elemente enthält.
Nahtoderfahrung im Moshpit
Die A-Seite wird komplett von dem 20-minütigen Track „The Stargate“ ausgefüllt. Dieser beginnt klassisch im Tech-Death-Metal, bevor er nach wenigen Minuten in sich zusammenbricht und sich dann völlig neu aufbaut – aber ganz anders, als man zunächst denkt. Die Band begibt sich weit zurück in den psychedelischen Progrock der 70er Jahre. An dieser Stelle wird auch Quaeschning erstmals aktiv. Was wie ein krasser Bruch im Song wirkt, ist es auch.
Stell dir vor, du gehst im Moshpit richtig ab. Plötzlich tritt dir jemand beide Beine weg. Du schlägst mit dem Hinterkopf auf den Boden, verlierst das Bewusstsein und erlebst eine Nahtoderfahrung, in der du nur schöne Dinge hörst und siehst. Langsam kommst du zurück ins Licht und bist wieder mitten im Moshpit.
So könnte man den ersten Song beschreiben.
Absolute Elsewhere – Verrückt gehts weiter
Seite B bietet mit „The Message“ einen weiteren 23-minütigen Longtrack. Was auf Seite A noch nicht abgefahren genug war, wird hier auf die Spitze getrieben: Psychedelic Rock, Progressive Rock, sanfte Anflüge von smoothen Bar-Jazz (mit Blastbeats!), Analog-Synths, Death Metal und vieles mehr. Doch es wirkt nie wirr oder kopflos.
Die Produktion ist zudem absolut herausragend. Die Drums klingen unglaublich gut – allein der Sound der Toms rechtfertigt die Anschaffung. Hier wurde sensationelle Arbeit geleistet.
Das Fazit zu Absolute Elsewhere
Dieses Album ist nicht nur Musik, es ist ein unfassbares Kunstwerk. Ein Trip in eine andere Welt. Ein Monument.
Wer sich eine Mischung aus Morbid Angel, Gorguts, alten Amorphis, King Crimson, Pink Floyd und Tangerine Dream vorstellen kann, hat eine ungefähre Idee, wie dieses Album klingt. Alle anderen sollten – nein, müssen – hier unbedingt reinhören. Aber Achtung – setzt Euch einen Kopfhörer auf und versinkt im Blood Incantation Kosmos.
Ich zitiere erneut Paul Riedl:
„Wir sind eine Old-School-Death-Metal-Band aus den 90ern, die 70er-Jahre-Progrock in der Zukunft spielt.“
Amen!
Mehr als die Höchstpunktzahl wäre ein Sakrileg. Ein ganz heißer Anwärter auf mein Album des Jahres und für mich eines der spannendsten Alben der letzten Jahre.
Cover
Tracklist
- The Stargate
- The Message
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Bildnachweis: Century Media.
Ein absolutes Meisterwerk, an dem es rein gar nichts auszusetzen gibt. Hier wurde Musikgeschichte geschrieben.
- Note