Die Musikszene im Kalifornien der auslaufenden 1960er und beginnenden 1970er Jahre war geprägt von psychedelischen Rock-Klängen – The Doors, Jefferson Airplane, The Grateful Dead. Auf der anderen Seite des amerikanischen Kontinents, in New York, feierte man den Avantgarde-Sound von The Velvet Underground. Und in Michigan, genauer gesagt im industriell geprägten Detroit entstand ein härterer, roherer Sound. MC5 und The Stooges sind die wohl populärsten Vertreter des „Detroit Rock“.
Ein Sound, den der 1948 in der „Motor City“ geborene Vincent Furnier – seit über fünf Jahrzehnten besser bekannt als Alice Cooper – als junger Erwachsener aufsaugte, der ihn prägte. Bereits 2019 besann sich Cooper wieder zurück auf diese Zeit und lieferte mit „Breadcrumbs“ eine energievoll rockende EP-Hommage ab. Damit war der Anflug von Altersnostagie aber allem Anschein nach noch nicht vorüber, weswegen Cooper mit „Detroit Stories“ nun ein Album mit stolzen 15 Tracks nachlegt. Wieder ist es nicht weniger als eine tiefe Verneigung vor dem Klang und dem Sound der goldenen Ära des Detroiter Rocks.
Zur Seite stand dem Schock-Rock-Gott dabei ein Ensemble, das sich wie ein Best-of aus wichtigen Wegbegleitern seiner langen Karriere und Musik-Größen Detroits liest: Unter anderem waren Coopers Stamm-Produzent Bob Ezrin, MC5-Gitarrist Wayne Kramer, die Detroiter Rock-Legende Bob Seger sowie die gesamte noch lebende Originalbesetzung von Alice Cooper (Michael Bruce, Dennis Dunaway, Neal Smith) an der Entstehung von „Detroit Stories“ beteiligt.
Doch wie klingt die musikalische Zeitreise zurück zur Geburtsstätte von „wütendem Hard Rock“, wie Alice Cooper selbst sagt? Transportieren er und seine namhaften Mitmusiker die selbe Kraft, Energie und Wut, die einem beim Auflegen einer MC5– oder Stooges-Platte entgegenschallen und die so wichtig für den Detroiter Sound dieser Zeit sind? Oder faselt hier nur eine Altherrentruppe nostalgisch von früher?
Eine authentisch rockende Liebeserklärung
Um „Detroit Stories“ zu verstehen, muss man sich im Grunde nur zwei Songs anhören: Den Opener „Rock & Roll“ und „Detroit City 2021“.
„Every time she turned on the radio / there was nothin‘ goin’ down at all / Then one mornin’ on a Detroit station / Couldn’t believe what she heard at all / She started shakin’ to that fine fine music / Yeah, her life was saved by rock’n’roll”, verwandelt Alice den von Lou Reed geschriebenen Velvet-Underground-Klassiker „Rock & Roll“ durch das Ersetzen von New York durch Detroit in eine Hymne an den Rock’n’Roll seiner Heimatstadt.
Noch plakativer wird die Liebeserklärung an den Sound seiner Jugend dann, wenn Cooper in „Detroit City 2021“ von Idolen, Wegbegleitern und Freunden singt und sie sogar namentlich erwähnt: „Me and Iggy were giggin‘ with Ziggy / And kickin‘ with the MC5 / Ted and Seger were burnin’ with the fever / And Suzi Q was sharp as a knife”.
Untermauert wird die textliche Huldigung von einem Sound, der sich ganz offen bei seinen Vorbildern bedient. Cooper und seine Mitmusiker spielen rohen, geradlinigen Hard-Rock mit verzerrten Gitarren und coolen Hooks. Auch der rotzige Proto-Punk der Stooges schallt ab und an durch. Musterbeispiel dafür sind beispielsweise die vor Energie strotzenden, sehr knackigen Rocker „Go Man Go“ und „Hail Mary“
Doop-Wap, Shu-Wap, Yeah-Yeah-Yeah
Aber Cooper konzentriert sich auf „Detroit Stories“ nicht bloß auf den frühen Heavy-Rock-Sound, der seine eigene Musik so entscheidend geprägt hat. Auch vor einem weiteren Aushängeschild der Detroiter Musikszene verneigt sich der 73-Jährige: Motown bzw. dem ikonischen Soul- und R’n’B-Sound des legendären Labels.
Am deutlichster wird das in „$1000 High Heel Shoes“. Ein typisch-souliger Frauenchor schmettert Doo-Waps, Shu-Waps und Yeah-Yeah-Yeahs, die Gitarren sind funky as fuck und sogar eine Bläsersektion ist inbrünstig am Start.
Übers Ziel hinaus
Vom ersten bis zum letzten Track spürt man, wie wichtig Cooper dieses Album ist. Wie viel Freude er an seiner Verneigung vor dem Detroiter Sound hat. Und so verzeiht man ihm auch gerne, dass er mit „Detroit City“ ein Stück übers Ziel hinausgeschossen ist: 15 Songs sind einfach zu viel. Vor allem gegen Ende schleicht sich der ein oder andere Filler ein („Wonderful World“, „Shut Up And Rock“).
Es sagt sich so leicht, aber Cooper hätte ein paar seiner Darlings auf seine Guillotine legen sollen. So verwässert „Detroit Stories“ im Gesamteindruck leider ein wenig und man wird das Gefühl nicht los, dass das Konzept 2019 auf der knackigen EP „Breadcrumbs“ (sechs Tracks, vier davon finden sich auch auf „Detroit Stories“) einfach runder wirkte.
Fazit: Kein lascher Altherren-Nostalgie-Trip
Zu Beginn habe ich gefragt, ob es Cooper und seinen Mitmusikern gelingt, auf „Detroit Stories“ die Energie, die Wut und die Kraft einer MC5- bzw. Stooges-Platte zu transportieren.
Die Antwort ist ganz eindeutig: jein. Wut ist im Laufe der 15 Songs eigentlich nie zu vernehmen – vielmehr Liebe für die Musik und eine enorme Spielfreude. Aber in puncto Kraft und Energie punkten Cooper und Kumpanen auf ganzer Linie. Zu keiner Sekunde hat man den Eindruck, als würden ein 73-Jähriger und seine grauhaarigen Freunde Geschichten von früher erzählen.
Obwohl es für eine durch und durch runde Platte ein paar Songs weniger hätten sein können, kann man somit festhalten, dass „Detroit Stories“ einfach Spaß macht. Es ist geradliniger und harter, oft sogar rotziger und manchmal verspielt-souliger, tanzbarer Rock. Außerdem eine tiefe und wohlverdiente Verneigung vor einem Sound, der die Musikgeschichte entscheidend mitgeprägt hat.
Als nächstes ist aber wieder ein ausladend-glamiges, theatralisch-makabres Schock-Rock-Album dran – okay, Herr Furnier?
Cover & Tracklist
1. „Rock & Roll“
2. „Go Man Go“
3. „Our Love Will Change The World“
4. „Social Debris“
5. „$1000 High Heel Shoes“
6. „Hail Mary“
7. „Detroit City 2021“
8. „Drunk And In Love“
9. „Independence Dave“
10. „I Hate You“
11. „Wonderful World“
12. „Sister Anne“
13. „Don’t Give Up“
14. „Shut Up And Rock“
15. „East Side Story“
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Bildnachweis: earMUSIC.