Heavy Load – „Riders of the Ancient Storm” (VÖ: 06.10.2023)
1976 gegründet, gelten Heavy Load als die erste schwedische Heavy-Metal-Band und obwohl sie es damals weltweit nie zu großer Bekanntheit erlangen konnten, würde ich ihre Alben „Death or Glory“ (1982) und „Stronger than Evil“ (1983) jederzeit zu den allerbesten Werken des klassischen Heavy Metals zählen. Diese Alben stehen für mich weit über so einigen der größten Klassiker. So viele Hits mit Ohrwurm-Charakter, wie sie auf diesen zwei Platten zu finden sind, bekommen manche Bands in ihrer gesamten Karriere nicht zustande. 1985 folgte dann jedoch die Trennung, ein kurzlebiger Comeback-Versuch im Jahr 1987 brachte weder Konzerte noch Aufnahmen zustande und so war die Band für Jahrzehnte – zumindest offiziell – Geschichte. Nach der Auflösung konzentrierte sich Frontmann Ragne Wahlquist (Gitarre, Gesang) vor allem auf das Produzieren anderer Bands (u.a. Candlemass), arbeitete mit seinem Bruder Styrbjörn (Schlagzeug, Gesang) aber auch noch über viele Jahre weiterhin an neuem Heavy Load-Material. Die Zerstörung ihres Studios durch eine Überschwemmung im Jahr 2001 machte jedoch ihrer Produzentenkarriere und auch der potenziellen Zukunft von Heavy Load einen riesigen Strich durch die Rechnung.
Ein langer, holpriger Weg
2017 folgte dann tatsächlich die Reunion mit drei Festivalauftritten im folgenden Jahr, wobei drei Viertel der klassischen Besetzung wieder vereint waren. Neben Ragne und Styrbjörn Wahlquist war auch Bassist Torbjörn Ragnesjö – Cousin der Wahlquist-Brüder – wieder mit von der Partie. Gitarrist und Sänger Eddy Malm kehrte nicht fest zur Band zurück, stand aber immerhin für seine Songs als Gast auf der Bühne. Neu an der zweiten Gitarre war stattdessen Niclas Sunnerberg, der den Altersdurchschnitt der Truppe deutlich nach unten treibt.
2018 wurde gleichzeitig auch ein neues Album angekündigt, welches das Material aus der Zeit nach der Auflösung ’87 enthalten sollte und voraussichtlich 2019 erscheinen würde. Seitdem passierte… absolut gar nichts. Nun schreiben wir das Jahr 2023 und tatsächlich halten wir nun mit „Riders of the Ancient Storm” endlich das erste neue Album seit 40 Jahren in unseren Händen.
Promophase und Release liefen – sagen wir – holprig. Die erste Single erschien gerade mal drei Tage vor Veröffentlichung. Genau gesagt, vor Veröffentlichung der CD-Version, denn der Vinyl-Release wurde kurzfristig um einen Monat nach hinten verschoben und auf Streamingdiensten wurde das Album auf Nachfrage erst eine Woche später zugänglich gemacht. Am Erscheinungstag hatte man versucht eine zweite Single zu veröffentlichen, dieser ging aber ab der Hälfte die Tonspur aus. Und auch mit Vorab-Reviews und Interviews sah es mehr als spärlich aus.
Es hätte also in der Tat besser laufen können.
Old School durch und durch
Aber was erwartet uns denn nun eigentlich? Die erste Single und gleichzeitig Opener des Albums „Ride the Night“ macht da weiter, wo die Band Anfang der 80er aufgehört hat, und ist eine powervolle Heavy-Metal-Hymne mit Ohrwurm-Refrain, simplen, aber kraftvollen Riffs und einem starken Solo, wie es Ragne auch 1983 hätte hinzaubern können. Stimmlich hat er sich wahnsinnig gut gehalten und bringt den Song mit jeder Menge Energie und heldenhaftem Pathos rüber. Der Song mag vielleicht ein wenig lang geraten sein, versprüht aber zu 100% die alte Heavy Load-Magie. Sie sind wirklich, WIRKLICH wieder da!
Ein Teil der Magie geht auf die Produktion zurück. Diese ist Old School durch und durch und das Album hat einen herrlichen warmen, analogen Klang, der völlig aus der Zeit gefallen wirkt und nicht besser passen könnte. Heavy Load bringen den 80er Heavy-Metal-Sound perfekt in die Neuzeit. Analoges Aufnehmen mag umständlich wie sau sein, wo es digital doch so viel schneller und einfacher geht, aber das Ergebnis spricht ganz klar für sich. Das Album klingt dynamisch, lebendig und in der heutigen Zeit geradezu einzigartig. Es kann eben auch sehr gutes haben, radikal an alten Werten festzuhalten.
In „We Rock the World” übernimmt Drummer Styrbjörn den Gesang. Während er damals gesanglich in meinen Augen nicht ganz an Ragne und Eddy herankommen konnte, steht er seinem Bruder heutzutage in Nichts nach und versorgt die Nummer mit einer Menge Coolness. Das Stück ist ein simpel gestrickter, langsam stampfender Rocker. Groovend, catchy, wenn auch nicht übermäßig spannend. Besonders das Chorus-Riff weiß aber zu gefallen.
Ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten
„Walhalla Warriors“ ist ein Epik-Metal-Stampfer mit simplem wie coolen Main-Riff, tollen, bandtypischen Chorgesängen und sehr viel Streicheruntermalung. In den ersten zwei Songs tauchte diese bereits vereinzelt auf und im weiteren Verlauf des Albums wird sie noch oft wiederkehren. Zumindest im Falle dieses Songs hat man dafür nicht auf Keyboards zurückgegriffen, sondern holte sich ein echtes Streicherquartett ins Studio. Und zwar bereits im Jahre 1987. „Walhalla Warriors“ ist nämlich hörbar der älteste Song des Albums und wurde zwischen 1986 und 1987 aufgenommen. Das ist zu merken, da man jedoch auch bei den neueren Aufnahmen auf eine alte, analoge Klangästhetik setzt, sticht der Song in der Hinsicht aber auch nicht zu stark negativ heraus. Vergleichbar angestaubt wirkt er aber allemal. Abgesehen von diesem Song lässt es sich tatsächlich kaum sagen aus welcher Zeit denn nun eigentlich welches Stück stammt. Das ist zum einen beachtlich, zum anderen hätte ich mir dazu aber auch zu gerne genauere Infos im Booklet gewünscht. Dort heißt es nämlich lediglich, dass das Album von 1986 bis 2023 aufgenommen wurde.
Wie dem auch sei, die ersten zweieinhalb Minuten des Songs wurden bereits 2018 auf dem YouTube-Kanal von Heavy Load veröffentlicht. Damit hat man das Beste leider bereits gehört. Der von Bass und Schlagzeug getragene Mittelteil, auf dem sich Ragne mit einem langen Gitarrensolo austobt, fängt zwar vielversprechend an, wird aber im weiteren Verlauf nicht spannender und kann sich ein wenig dahinziehen. Anschließend kann der Song nicht mehr viel Neues bieten und bleibt etwas hinter den Erwartungen zurück, die die starken ersten zwei Minuten aufgebaut haben. Ein guter Song bleibt es jedoch allemal.
Fäuste in die Höhe
„Angel Dark“ ließ mich beim ersten Hören etwas irritiert zurück. So richtig zünden wollte die Nummer nicht und wenn man sechs Minuten lang in einen Song nicht reinkommt, können das sehr lange sechs Minuten sein. Dabei blieb es glücklicherweise nicht und der Song hat sich mit wiederholten Durchläufen zwar nicht zu meinem Favoriten entwickelt, aber definitiv zu einer etwas verqueren, herausstechenden, stimmungsvollen Nummer mit schöner Gitarrenarbeit und Ohrwurm-Potenzial. Besonders hier kehrt Ragne in seinem Gesangsstil etwas mehr zum Debutalbum „Full Speed at High Level“ zurück, wenn auch weitaus gereifter und gekonnter als noch anno 1978.
Ob die Arbeit mit den Epic-Doom-Pionieren Candlemass an ihren ersten zwei Alben einen Einfluss auf den achtminütigen Doom-Klotz „Slave No More“ hatte? Denkbar. Die Nummer stammt wieder aus der Feder von Schlagzeuger Styrbjörn, der im Refrain gesanglich ganz groß auftrumpft. Wenn er mit steigernder Intensität und gerolltem R „Rise, Rise, Riiise, Riiiiiiiise“ ins Mikro trällert, ist die geballte Faust geradezu gezwungen genau dies zu tun. Während mich dieser Moment beim ersten Hören direkt komplett abholte, hat das wiederkehrende, rhythmisch etwas herausfallende Pull-Off-Riff eine Weile gebraucht, bis es mir wirklich ins Ohr gegangen ist. Ein weiterer Song, den ich erst nach mehrmaligem Hören so richtig in Gänze genießen konnte, der mit jedem Durchlauf aber mehr und mehr seine Magie entfalten konnte.
Das Beste kommt zum Schluss
Für das folgende „Raven is Calling“ gilt das noch umso mehr. Die Nummer zieht das Tempo wieder deutlich an und ist energetischer Epic Metal mit coolem Riffing und extrem prominenter Streicher-Untermalung, die Erinnerungen an Virgin Steele weckt. Musikalisch hatte mich der Song damit direkt auf seiner Seite, was ich von den Vocals jedoch überhaupt nicht behaupten kann. Ragne geht hier in den hundertprozentigen Kauz-Epic-Metal-Modus und agiert stimmlich irgendwo zwischen Manilla Road und Brocas Helm. So hat man ihn noch nie gehört und das macht diesen Song zunächst wahnsinnig irritierend. Konnte ich mich aber erstmal darauf einlassen, hat sich das Stück für mich zu einem riesigen Highlight der Scheibe entwickelt und ich würde mir den Gesang keinen Hauch anders wünschen. Zwar ist der Song in Anbetracht seiner mangelnden Varianz vielleicht etwas zu lang und repetitiv geraten, aber bis zu welchem Grad kann ich dies ernsthaft kritisieren, wenn mich die Nummer von Anfang bis Ende trotzdem voll abholt? Nichtsdestotrotz muss ich diesen Kritikpunkt „Riders of the Ancient Storm“ als Ganzes einfach andichten, auch wenn es mich beim 20. Hören des Albums nicht mehr stören mag: Die meisten Songs hätten durchaus etwas Trimmung gebrauchen können und bieten nicht immer unbedingt genug Material, um ihre Länge zu rechtfertigen.
Nähern wir uns aber mal dem Finale und damit einem Song, den ich keine Kritik dieser Welt antun könnte. Natürlich darf eine epische Powerballade nicht fehlen und „Sail Away“ liefert in dieser Hinsicht voll und ganz ab und kommt dem Zauber eines „Dreaming“ sehr nah. Zunächst mit stampfender Heaviness und pompösen Streichern auffahrend, schaltet der Song schnell einige Gänge runter und setzt auf sphärische Keyboards, über die Ragne mit sanfter Stimme über die Zeit, das Älterwerden und den eigenen Platz auf dieser Welt sinniert. „Time is a wheel that spins too fast and I am a child of the past”. Melancholisch, sentimental und wahnsinnig schön. In Richtung Refrain gewinnt der Song wieder an Power, um in diesem dann letztendlich die volle Ladung Pathos und Epik rauszulassen. Der großartige, nicht minder epische Mittelteil rundet das Stück perfekt ab. Dick aufgetragen? Absolut! Muss das so sein? Absolut!
„Sail Away“ ist das letzte Lied der Vinyl-Version von „Riders of the Ancient Storm” und bildet damit ein perfektes Schlusslicht. Auf CD und der digitalen Fassung gibt es aber noch eine Zugabe in Form des siebenminütigen Instrumentalstücks „Butterfly Whispering“, auf dem Ragne allein mit seiner Akustikgitarre zu hören ist. Ein schöner, entspannter Ausklang, den ich mir aber nicht immer mit anhöre, da es mich oftmals direkt wieder zum Anfang des Albums verschlägt.
Fazit
Vor sage und schreibe 37 Jahren haben die Gebrüder Wahlquist die Arbeiten an diesem Album begonnen. Dass es nun tatsächlich das Licht der Welt erblickt hat, muss für beide ein unbeschreibliches Gefühl sein. Auch für den Rest der Welt? Die Reaktionen fallen gemischt aus. Auch mich hat das Album nach anfänglicher Euphorie und trotz einiger direkt herausstechender Momente beim ersten Hören weitgehend ernüchtert zurückgelassen. Wenige energiegeladene Hymnen, wenig Tempo und insgesamt ein ziemliches Durcheinander mit einigen merkwürdigen Entscheidungen und Songs, die deutlich länger sind, als sie es sein müssten. Und dann entpuppt sich der letzte Song auch noch als reines Akustikgitarrengeklimper. Ist das das große Comeback?
Mit jedem weiteren Durchlauf konnten sich die Songs mehr und mehr entfalten und Stücke, die erst für Fragezeichen sorgten, wurden schnell zu Dauerbrennern, an denen ich mich kaum satthören kann. Jeder Song schafft seine ganz eigene Identität und keiner klingt wie der nächste. Zwar wirkt das alles – allein schon aufgrund der Entstehungsgeschichte – nicht wie aus einem Guss, darüber lässt sich aber schnell hinwegsehen.
„Riders of the Ancient Storm” ist wahrlich kein perfektes Album. Es ist kein „Death or Glory“ und kein „Stronger than Evil“ – vor allem letzteres würde ich jederzeit als eben solches bezeichnen – wie man aber allein schon der Länge dieser Review entnehmen kann, ist mir dieses Album extrem wichtig. Es begleitet mich jetzt seit einem Monat täglich und war wider Willen mein Soundtrack für dunkle Tage. Und auch, wo sich diese für mich langsam wieder lichten, denke ich noch lange nicht daran, dieses Album in absehbarer Zukunft beiseitezulegen.
„Riders of the Ancient Storm” ist – im allerbesten Sinne – altbackener Heavy Metal. Ein Album, das so klingt, als hätten die letzten 37 Jahre Metal-Geschichte gar nicht stattgefunden, nur mit dem Unterschied, dass die Akteure seitdem deutlich älter geworden sind. Bei aller Kritik, die man diesem Album entgegenfeuern kann: Allein schon für „Sail Away“, „Raven is Calling“ und „Ride the Night“ bin ich über dieses Album überglücklich.
Auf dass es nicht das letzte Heavy Load-Album bleiben wird.
Cover & Tracklist
01 Ride the Night
02 We Rock the World
03 Walhalla Warriors
04 Angel Dark
05 Slave No More
06 Raven Is Calling
07 Sail Away
08 Butterfly Whisperings (CD Bonus-Track)
Mehr Infos
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Bildnachweis: No Remorse Records.
+ Die alte Magie ist wieder da
+ Fantastische Old-School-Produktion
+ Toller Gesang
+ Jeder Song ist einzigartig
+ „Sail Away" zum niederknien
+ Diverse Ohrwurm-Garanten
- Die meisten Lieder sind etwas zu lang
- Schwankende Soundqualität, besonders in „Walhalla Warriors"
- Moshcheck