Overkill – „Scorched“ (VÖ: 14.04.2023)

Ja, kann es denn wirklich sein? Tatsächlich markiert die vierjährige (wenn auch COVID-bedingte) Pause zwischen „The Wings of War“ und ihrem neuesten Output „Scorched“ den bisher längsten Abstand zwischen zwei Overkill-Alben. Damit sind die Arbeitstiere aus New Jersey bereits bei Album Nr. 20 angelangt. Ob sie allzu viele neue Fans mit dieser Scheibe dazu gewinnen werden, darf bezweifelt werden. Ich bin mir aber sehr sicher, dass Overkill langjährige Hörer keinen Deut enttäuschen dürften.

Scorch the Earth!

Die erste Single „The Surgeon“ stimmte mich noch etwas skeptisch, klingt der Song doch so, als könne er auch von irgendeinem anderen beliebigen Overkill-Album der letzten 10 Jahre stammen, ohne dabei wirklich viel Eindruck zu hinterlassen. Mit dem eröffnenden sechsminütigen Titeltrack gelingt der Band aber direkt ein waschechter Knaller. Eingeleitet durch ein untypisches Tapping-Intro, baut sich die Nummer zu einer richtigen Thrash-Granate auf, mit einem großartigem Ohrwurm-Chorus, den wohl nur Bobby „Blitz“ Ellsworth mit seiner giftigen Reibeisenstimme so genial rüberbringen kann. Auch mit über 60 strotzt seine Performance nur so vor Energie und seiner einzigartigen Stimmgewalt.

„Goin‘ Home“ hält die hohe Qualität und trumpft mit einem hymnischen Chorus, melodischen Lead-Gitarren und einer guten Härte auf. „The Surgeon“ hat sich für mich zwar zu einem ziemlich spaßigen Abriss gemausert, bleibt aber etwas austauschbar und kann gerade im Chorus nicht mit der Klasse der ersten beiden (und folgenden zwei) Nummern mithalten. Die irrwitzigen Gesangslinien in den Strophen machen aber eine Menge her. Guter Overkill-Standard, aber nicht viel mehr. „Twist of the Wick“ setzt in Sachen Geschwindigkeit und Spaß genau da an, gestaltet sich aber sowohl im Tempo als auch der Stimmung als äußerst dynamisch.

Auf den Spuren von Black Sabbath

Das folgende „Wicked Place“ setzt in der ersten Hälfte voll auf die düstere Stimmung, die „Twist of the Wick“ bereits vereinzelt anklingen lässt und ist ein heavy Stampfer erster Güte, ehe die Nummer das Tempo in der zweiten Hälfte aber doch wieder anzieht. Die angedeuteten finsteren Doom-Anleihen bleiben aber zum Glück kein Einzelfall. „Fever“ lässt es zunächst ruhig und atmosphärisch angehen und hat nicht nur wegen des sehr an Ozzy Osbourne erinnernden Klargesangs starke Black Sabbath-Anleihen. Anschließend erklingen tonnenschwere, tiefgestimmte Gitarren und der Song entwickelt sich zur bockharten Walze. Die Überraschung des Albums und eine sehr willkommene Abwechslung, die zeigt, dass Overkill eben doch nicht immer so berechenbar agieren, wie es die erste Single anfangs noch befürchten ließ.

Mit „Harder They Fall“ und „Know Her Name“ geht’s dann wieder in vertrautes Territorium, wobei vor allem ersterer ordentlich Laune macht. Wie bei „The Surgeon“ fehlt aber auch hier ein wenig das Alleinstellungsmerkmal und die Lieder könnten genauso gut in der zweiten Hälfte von zum Beispiel „White Devil Armory“ oder „The Grinding Wheel“ zu finden sein, ohne dass man sich nach einiger Zeit so richtig an sie erinnert. Das abschließende „Bag o‘ Bones“ sticht mit seiner rhythmischen Ausrichtung und einem erheblichen Spaß-Faktor heraus und bringt das Album mit jeder Menge frischen Wind zu Ende.

Fazit

Mit „Scorched“ ist den Thrash-Veteranen ein überraschend abwechslungsreiches Album gelungen, dass sich in Teilen erfrischend stark von den vergangenen Scheiben abhebt und auf dem von Altersmilde keine Spur ist. Bobby Blitz röhrt einige ganz große Ohrwurm-Hooks heraus und seine Vocals sind so unverkennbar wie D.D. Vernis Bass, der seit jeher im Mix auf Augenhöhe mit den Gitarren nach vorne donnert. Der Titeltrack, „Fever“,„Wicked Place“ oder „Twist of the Wick“ sind moderne Overkill in Bestform und auch in seinen etwas generischeren Momenten macht das Album jede Menge Spaß. Nicht auf Augenhöhe mit „Ironbound“, aber auch nicht allzu weit davon entfernt.

Cover & Tracklist

01 Scorched
02 Goin‘ Home
03 The Surgeon
04 Twist of the Wick
05 Wicked Place
06 Won’t be Comin Back
07 Fever
08 Harder They Fall
09 Know Her Name
10 Bag o‘ Bones

Mehr Infos

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Bildnachweis: Nuclear Blast.