Titelloses Rammstein-Album
Da ist es endlich: Das lang ersehnte siebte Album von Rammstein ist endlich da! Halleluja! Pünktlich zum Tourstart schenken uns Deutschlands erfolgreichste Band elf rammsteineske Titel auf einem Longplayer ohne Namen. Als 2017 erstmals durchsickerte, dass sich die sechs Mitglieder zwecks Albumproduktion wieder zusammentun werden, deuteten sie in einem Interview an, dass die Songs weniger rau als bisher ausfallen könnten. Wir werden sehen, denn immerhin sind seither zwei Jahre vergangen und es bleibt abzuwarten, ob sie ihre Meinung nicht doch geändert haben. Gleiches gilt im Übrigen auch für die kommenden Liveshows, denn auch hier ließen sie verlauten, dass sie bei Konzerten den Fokus von der Feuershow mehr auf die Musik legen wollen. Mehr News zu Rammstein gibt es HIER.
Vorbereitungen auf die Veröffentlichung des namenlosen Werkes gleichen fast schon Propagandamethoden. Extrem professionell arbeitete die Maschinerie, um eine größtmögliche Aufmerksamkeit zu generieren. Kleine Bröckchen wurden den Fans vorgeworfen, immer gab es nur Schlagwörter, nebulöse Ankündigungen, Musikschnipsel, plötzlich auftauchende Städtenamen auf Plakatwänden mit #GebtFeinAcht, provozierende Fotos vom Video ihrer ersten Auskopplung.
Deutschland
Und die erste Auskopplung sowie der erste Titel des Albums ist „Deutschland“. Sorry, wer den Song mittlerweile nicht kennt und/oder das Video dazu gesehen hat, der ist hier falsch und sollte nicht weiterlesen, soviel mediale Aufmerksamkeit wie diese Veröffentlichung erhalten hat…
„Radio“ dürfte den Meisten mittlerweile auch hinlänglich bekannt sein. Rammstein lassen hier erstmals durchblicken, dass sie einer älteren Generation zugehören und blicken fast schon melancholisch auf die Zeit zurück, als das heimliche Hören von West-Radio für die Bürger der damaligen DDR ein Hauch von Freiheit bedeutete. Aber auch die restlichen Deutschen werden mit ein wenig Wehmut an die Zeit zurückdenken, als jegliche Musik nicht überall und jederzeit beliebig abrufbar war, sondern die Playlist abhängig vom Radiomoderator war. Schöne alte Zeit!
Endlich das neue Material
So, jetzt kommt endlich mal neues Zeug: „Zeig Dich“! Opulentes Intro (vermeintlich lateinischer Chor, denn die gesungenen Wörter sind Phantasiewörter) mit Übergang in den so rammsteintypischen, stampfenden Rhythmus verbunden mit der Aufforderung, sich nicht auf Gott zu verlassen (da es ihn nicht gibt), sondern selbst für das Gute auf Erden und unter den Menschen zu sorgen hat. Natürlich stellen sie sich das etwas radikaler vor, als es ethisch vertretbar wäre.
Zunächst denkt man bei „Ausländer“ an Schlager. „Ich bin kein Mann für eine Nacht“ säuselt uns Till ins Ohr. Und plädiert gleichzeitig darauf, Sprachen zu lernen, damit man sich im Ausland (mit den Objekten der Begierde (= Frauen)) besser verständigen kann. Doch wir hören hier Rammstein und es ist nicht so wie es scheint. Denn sie gehen davon aus, dass alle immer nur „Sex“ wollen – „Besser liederlich als wieder nicht/Wir leben nur einmal, wir lieben das Leben.“ Ja, wenn sie meinen, dann ist es halt so.
Tills berühmt-berüchtigter Wahnsinn bricht sich in „Puppe“ Bahn. Aus der kleinen netten Geschichte einer Puppe, die das Kind erhält, während die Schwester zur Arbeit geht, entwickelt sich ein kleines, grausames Horrormärchen. Diese Songs sind es, warum man Rammstein leider niemals ungefiltert im Beisein von Kindern hören sollte.
Intensiv und belanglos
Mein persönliches Lieblingslied habe ich in „Was ich liebe“ gefunden, was wiederum absolut paradox ist, denn „ich liebe nicht, dass ich was liebe“ dröhnt es einem entgegen. Das Schlagzeug stampft im Takt dazu, die Gitarren und der Hintergrundgesang machen ein melodisches und fast schon episches Werk aus diesem Stück. Mit „Diamant“ bleibt man in dieser etwas beseelten Stimmung und denkt, man hätte nun endlich ein waschechtes Liebeslied, dass man seiner Partnerin vorspielen könnte. Leute, tut es nicht! Ich will nicht spoilern, aber bitte hört es Euch ganz genau an! Bis zum Schluss! Dauert auch nicht lange, da die Spielzeit nur 2.34 Minuten beträgt.
Nach diesem kurzen Exkurs in die Gefühlswelt kommen Rammstein zurück zu den menschlichen Abartigkeiten. Diesmal: Der Voyeurismus. Dem wird mit „Weit weg“ ein entsprechendes Kapitel gewidmet. Dagegen wirkt „Tattoo“ äußerst belanglos und hinterlässt einen weniger bleibenden Eindruck als ein Tattoo selber. Schade, die Herren hatten sicherlich vorher mehr als nur einen anderen Song, mit dem sie das Album hätten füllen können. Anscheinend war es ihnen jedoch wichtig, dass er der Öffentlichkeit zugänglich wird. Den Abschluss bildet „Hallomann“. Kindesentführung und -missbrauch aus der Sicht des Entführer.
Fazit
Dieses Album strotzt vor Lebenserfahrung und Rammstein machen keinen Hehl daraus, dass sie davon eine Menge besitzen. Sie wollen nicht auf Kuschelkurs mit der nächsten Generation gehen, die beim letzten Album „Liebe ist für alle da“ (2009) noch zu jung waren. Es geht um Sex, Gewalt, Missbrauch, Politik und Erinnerungen. Es führt einem Tatsachen vor Augen, die man sich selbst gerne weichzeichnet.
Die zu Beginn erwähnte Ankündigung, dass dieser Longplayer wohlmöglich weniger rau und düster ausfällt, hat sich leider bestätigt. Der stärkste der elf Songs ist das aufmerksamkeitsheischenden „Deutschland“, da hier einige bewährte Mittel zusammengeworfen werden: ganz viel „Du hast“, ein Schuss Synthie-Intro, eine Prise „Ich will“, zum Schluss noch einen kleinen „Seemann“ hinzufügen, statt des Bettes das Herz in Flammen setzen, alles gut verrühren und einen neuen Text darüber kippen. Beachtlicher ist hier definitiv das Marketing und das Video.
Die sechs Wahl-Berliner sind absolute Profis und Meister ihres Faches, sie wissen genau, was sie tun müssen, um bestimmte Reaktionen hevorzurufen. Sie überlassen nichts dem Zufall. So sind ihre Texte absolut pointiert und die Musik perfekt arrangiert. Es gibt nichts, was der Fan vermissen oder worüber man tatsächlich meckern könnte, denn Fakt ist, dass es keine Weiterentwicklung geben kann, da sie immer schon einen Band der Extreme waren, die die Grenzen ausgelotet und sie stante pede überschritten haben. Überraschendes enthält das Album also nicht: es ist gewohnt provozierend, aber man ist weder äußerst beeindruckt und noch großartig schockiert davon. Es ist trotzdem schön, endlich wieder neues Material von Till & Co. in seiner Playlist zu haben.
Tracklist
01. Deutschland
02. Radio
03. Zeig Dich
04. Ausländer
05. Sex
06. Puppe
07. Was ich liebe
08. Diamant
09. Weit weg
10. Tattoo
11. Hallomann
Rammstein auf Tour
Rammstein sind ab dem 27.05.2019 auf großer Europatour. Hier sind für Euch die Deutschlandtermine. Die schlechte Nachricht für alle ohne Ticket: alle Shows sind schon lange restlos ausverkauft.
27.05.2019 Gelsenkirchen, Veltins-Arena
28.05.2019 Gelsenkirchen, Veltins-Arena
08.06.2019 München, Olympiastadion
12.06.2019 Dresden, Rudolf-Harbig-Stadion
13.06.2019 Dresden, Rudolf-Harbig-Stadion
16.06.2019 Rostock, Ostseestadion
22.06.2019 Berlin, Olympiastadion
02.07.2019 Hannover, HDI Arena
13.07.2019 Frankfurt am Main, Commerzbank-Arena
Das sind Rammstein
Till Lindemann – Gesang
Richard Kruspe – Gitarre
Paul Landers – Gitarre
Oliver Riedel – Bass
Christoph „Doom“ Schneider – Schlagzeug
Christian „Flake“ Lorenz – Keyboard, Synthesizer, Klavier
Bildnachweis: Check Your Head, Check Your Head , Rammstein.