TÜSN
Am 08.03.2019 haben die drei Berliner mit nordhessischen Wurzeln der Band TÜSN ihr zweites Werk „Trendelburg“ veröffentlicht. Die Gruppe hat 2016 mit ihrem Debüt „Schuld“ bereits einen gewissen Achtungserfolg erreicht, so dass wir nun sehr gespannt auf Nachschub sind.
Mit „Reden ist Silber, Tanzen ist Gold“ eroberte TÜSN schon 2014 nicht nur die deutschen Gehörgänge, denn sie erregten so viel Aufmerksamkeit, dass sie 2015 sowohl als Support von Marilyn Manson sowie Hurts unterwegs waren, als auch einige Festivals, darunter Rock am Ring, das Melt! und Autumn Moon auf der Bühne erleben durften. Im Anschluss daran wurde das Album „Schuld“ aufgenommen, das Anfang 2016 erschien.
Die Frage drängt sich auf, wofür der Name TÜSN eigentlich steht. Das ist jedoch schnell beantwortet, da es sich ausschließlich um eine ästhetische Sache handelt – keine Abkürzung für irgendwas, keine tiefere Bedeutung.
Der Name TÜSN steht für uns als Band und für unsere Musik. Er enthält das „Ü“ mit dem vertikal eingelassenen Balken, der sich auch als zentrales Element auf unserem Albumcover präsentiert. Wir mögen es einfach gern, um unsere Musik auch eine Symbolik aufzubauen.
Ästhetisch und gradlinig ist auch ihr sonstige öffentliche Präsenz. Sowohl ihre Videos als auch ihre diversen Beiträge in sozialen Netzwerken sind nahezu ausschließlich in schwarzweiß gehalten. Musikalisch einzuordnen sind sie im Bermudadreieck zwischen New Wave, Neuer Deutscher Welle und Synthie-Pop.
Was ist Trendelburg?
Noch ein Versuch der Namensfindung: Wer oder was ist eigentlich der Ursprung für den Titel des neuen Albums? Diesmal gibt es eine Bedeutung, denn Sänger Stefan „Snöt“ Fehling stammt aus diesem Ort nahe Kassel. Und so widmend er nicht nur den Albumtitel, sondern auch das erste Stück seinem Heimatort. Inspiriert wurde er durch die dort bekannte Sage um die Riesin Trendula. „An alle Riesen: Die Party ist tot! Willkommen in Trendelburg. Hört das Urteil für Euer Versagen: Ihr werdet alle vom Blitz erschlagen.“ Der Sage nach wurde Trendula von einem Blitz auf freiem Feld getroffen, nachdem sie ihren Schwestern Saba und Brama stark zugesetzt hatte. Das Stück wendet sich in den Versen an die großen menschlichen Herrscher der Vergangenheit – Ludwig, Cäsar, Napoleon, Kleopatra – und den Despoten der Gegenwart – Religion, Drogen, Demokratie, Geld, Liebe.
Zudem beweist dieser Song, dass man nicht unbedingt aus München, Hamburg, Stuttgart oder Berlin – obwohl TÜSN hier mittlerweile beheimatet sind – kommen muss, um einen Song seiner Stadt widmen zu können. Man kann also auch zu seiner ländlichen Herkunft stehen!
Musikalisch hört man hier schon die Besonderheit von TÜSN heraus, da man sich ausschließlich mit Bass und Schlagzeug sowie Synthezisern durchschlägt und sich durch Snöts außergewöhnliche Stimme auszeichnet. Auf die Gitarre wird verzichtet. Im Falle des Songs „Trendelburg“ wird die Melodie noch durch Harmonium Klänge untermalt. Ein schöner Opener, der die Charakteristik TÜSNs auf den Punkt bringt.
weiter geht’s
Der zweite Song wird unter dem Titel „Zweifel“ geführt. Nach dem schwungvollen und mitreißenden „Trendelburg“ wird es nun etwas ruhiger, aber sehr atmosphärisch und nimmt im Verlauf mehr Fahrt auf. Irgendwie erinnert es musikalisch an diese typischen Till-Schweiger-Filme, wenn am Ende alle versöhnt der goldenen Sonne Berlins entgegen tanzen. Und auch textlich setzen TÜSN auf die Aufforderung, seine Zweifel hinter sich zu lassen und leichter durchs Leben zu gehen.
„Melanchotherapie“ beginnt elektronisch und düster und beschreibt die Zeiten, in den man sich seiner Melancholie hingeben möchte und sollte, weil diese Phasen auch heilsam sein können, wenn man sie zulässt und sie vorübergehend sind. So wie man aus dieser Phase auch Kraft schöpfen kann, entwickelt sich innerhalb des Tracks eine kraftvolle, treibende Stimmung.
Kranke Heile Welt
Klavierklänge leiten „Kranke Heile Welt“ ein. Es wurde als Vorgeschmack schon Ende des letzten Jahres vorab veröffentlicht und erzählt von der Vorstellung der Apokalypse, die vielleicht schon begonnen hat, aber durch die persönliche Situation durch Liebe, Zuneigung und Geborgenheit entschärft werden kann. Sich in den Kopf einbrennend sind die unverkennbar von Snöt stammenden eingestreuten eindringlichen Schreie. Es klingt sehr enigmatisch und dramatisch und trotzdem sehr romantisch und hoffnungsvoll.
Vom Scheitern einer Liebe handelt „Scheitern„. „Aber manchmal ist die Wahrheit nicht real und Realität nicht wirklich wahr“ und weiter „Es scheitern auch gute Ideen … du lässt mich und ich dich gehen?“ TÜSN haben hiermit sowohl textlich als auch musikalisch eine wunderschöne Ballade geschaffen, mit der man eine heilsame Melanchotherapie in Liebeskummerzeiten absolvieren kann.
Den nächsten Titel möchte ich hiermit gerne Lehrern oder Schülern eines Deutsch-Leistungskurses ans Herz legen, da die Interpretation sich als durchaus schwierig gestaltet. Paradox anmutende Wortspiele, die alles oder nichts bedeuten können. Dennoch hat sich „Schwarzer Lambada“ in mein Hirn gehämmert, wie kaum ein anderes Lied bisher in meinem Leben. Freundlicherweise wurde ganz aktuell das dazugehörige Video veröffentlicht:
Made In Germany
Um die Fans nicht am langen Arm verhungern zu lassen, wurde zwischen „Schuld“ und „Trendelburg“ die Single „Made In Germany“ auf den Markt gebracht und ist deshalb für eben diese Fans nicht mehr ganz so neu. Sehr energiegeladen präsentiert sich dieser Track, der aber durchaus auch seine ruhigen Momente hat. Wofür sind deutsche Produkte im Ausland besonders bekannt und geachtet – für das Siegel „Made In Germany“. Doch können wir im Inneren wirklich stolz darauf sein, wo Schein und Wahrheit teilweise weit auseinanderklaffen (Stichwort Fakenews) und der Preis für „Made In Germany“ hoch ist („Kein Raum für Kunst neben Luxussanierern“)?
Nach diesen sehr kritischen Ansichten kommt „KÜSN“ locker und leicht daher. Ich hatte das Glück, diesen Song vorab in einer Woche voller Sonnenschein zu hören, bevor der Winter zurückkam und er machte definitiv große Lust auf Sommer, Sonne, Sonnenschein. Wobei auch hier nicht alles rosarot ist, sondern es natürlich auch Schattenseiten gibt, denn wie schon bei „Ewig allein“ vom Vorgängerwerk wird eine Person angesprochen, die nicht so wirklich zu sich und ihren Gefühlen steht und zu ihrem Glück noch etwas gezwungen werden muss.
Endspurt
Von bisher unerfüllter Liebe handelt auch „Schlaflose Inkubation“ und läutet damit den melodramatischen Part des Albums ein – zumindest für diejenigen, denen es bisher noch nicht dramatisch genug war. Und gerade hier offenbart sich die große Stärke TÜSNs, denn ihre Texte und Wortspielereien lassen viel Interpretationsspielraum zu, so dass jeder sein eigenes Leben darin finden kann. Viele ihrer Stücke funktionieren in Momenten des absoluten Glücks und gleichzeitig in Situationen, in denen man verzweifelt am Boden liegt.
Sehr ruhig schließt „Noch mehr“ an „Schlaflose Inkubation“ an – der mit Abstand ruhigste Titel, den es von TÜSN gibt. Ausschließlich von Klavierklängen begleitet, singt Snöt von Abschied, den er gerne hinauszögern möchte.
Von Abschied ganz anderer Art handelt „Letzter Tag„. In dem wiederum sehr mystischen und dunklen Intro erklingt Snöts auffällig weinerliche Stimme, die von irgendeinem Ende singt. Mein erster Impuls war, diesen Song einfach zu skippen – kann ich bei einer Rezension aber schlecht machen, also musste ich da durch – und ich wurde fürstlich belohnt. Musikalisch wird eine unfassbare Energie freigesetzt, ein wahres Feuerwerk. Und dann dringt einem der Text ins Bewusstsein: „Heut war dein letzter Tag und du tust mir so weh, denn ich kann nicht mit dir gehen.“ Abschied durch Tod. Finale Grande und für mich der beste Song von „Trendelburg„.
Fazit
Entstanden sind Lieder über die Angst und Zweifel, das Scheitern, die Liebe, den Exzess und die Schwermut.
Ich gebe zu, mich haben TÜSN bereits als Vorgruppe von Marilyn Manson überzeugt und ich war nach dem Konzert überrascht, wie neu sie sind und enttäuscht, dass es quasi noch kein öffentlich zugängliches Material von ihnen gab, da ihr Debütalbum erst drei Monate später erscheinen sollte. „Schuld“ hat mich dann jedoch komplett aus den Socken gehauen. Beeindruckt hat mich ihr Umgang mit der deutschen Sprache, da sie nicht die ewig gleichen Ausdrücke benutzen, sondern sich extravaganter Metaphern bedienen und gleichzeitig viel Interpretationsspielraum zulassen.
„Trendelburg“ fühlt sich für mich nicht ganz so düster an wie sein Vorgänger, aber das tut der Qualität absolut keinen Abbruch. Es lädt zum Wegträumen ein, zum Über-sich-Nachdenken, gleichzeitig will man sich seine Emotionen von der Seele tanzen. Es ist rundum gelungen und für mich schon jetzt das Album des Jahres! Durch ihre Authentizität bin ich zudem guter Hoffnung, dass sich TÜSN niemals verbiegen werden und uns weiterhin mit ihren ungewöhnlichen Kreationen versorgen werden.
Trendelburg
01. Trendelburg
02. Zweifel
03. Melanchotherapie
04. Kranke heile Welt
05. Scheitern
06. Schwarzer Lambada
07. Made in Germany
08. KÜSN
09. Schlaflose Inkubation
10. Noch mehr
11. Letzer Tag
TÜSN Live 2019
26.04. BREMEN – Tower Musikclub
27.04. ROSTOCK- Helga’s Stadtpalast
28.04. HAMBURG – Nochtspeicher
29.04. FRANKFURT / MAIN – Nachtleben
01.05. MÜNCHEN – Backstage
02.05. NÜRNBERG – Club Stereo
03.05. SAARBRÜCKEN – Garage Kleiner Klub
04.05. OSNABRÜCK – Kleine Freiheit
05.05. HANNOVER – Lux
07.05. KÖLN – Blue Shell
08.05. LEIPZIG – Moritzbastei
09.05. BRAUNSCHWEIG – Eulenglück
10.05. BERLIN – Urban Spree
Stefan „Snöt“ Fehling – Gesang
Tomas Golabski – Schlagzeug
Daniel Kokavecz – Bass
Bildnachweis: Netinfect.