Wir sprechen nur im Dunkeln
Der Name Ultha hat sich unter Black Metal-Fans etabliert, regional wie auch international. Der Grund hierfür könnte nicht leichter zu finden sein, hat der Trupp mit seinen Veröffentlichungen – zwei Full-Length-Alben (namentlich die „Pain Cleanses Every Doubt“ sowie die „Converging Sins“), zwei EPs, zwei Splits und einem Live-Album – Mal um Mal bewiesen, dass musikalischer Geist im Schwarzmetall nach wie vor existiert. Und auch thematisch werden durchaus auch andere Wege gegangen, so der lyrische Ursprung hier weniger auf religiös-spiritueller Ebene zu finden ist, sondern in der menschlichen Seele selbst: ungeschönt und mit all ihren Irrwegen und Abgründen.
Das Biest, dem wir nun gegenüberstehen, hat einen Namen: „The Inextricable Wandering“ ist das mittlerweile dritte Machwerk der Kölner Garde, seit dem 05. Oktober 2018 erhältlich und zeigt zum einen, dass Ultha weder etwas von ihrer musikalischen Schaffenskraft, noch von ihrer ungestümen Brutalität eingebüßt haben. Mehr noch, das Quartett bestehend aus Ralph Schmidt (Gesang, Gitarre), Chris Noir (Gesang, Bass), Manuel Schaub (Schlagzeug) und Andreas Rosczyk (Electronics) setzt mit diesem Album begrüßenswerte Akzente, welche es zum bislang besten Werk seiner Karriere eleviert.
Mit Messern an der Kehle und Feuer in Deinem Herzen
Der Startpunkt wird mit dem ersten Track gesetzt: „The Avarist (Eyes Of A Tragedy)“ gibt mit seinen dezenten Anfängen den Blick auf eine unwirkliche Klanglandschaft frei. Etwa dreieinhalb Minuten lang legt sich drohendes Unheil in seiner Vielschichtigkeit über das Haupt des Hörers, bevor sich das schwermütige Intro, geformt aus dem kraftvollen Spiel am Schlagzeug und durchdringende Saitenlauten, in einem tosenden Meer aus Flammen erbricht. Mit schwindelerregendem Tempo traktiert die Band die Ohren des Publikums und bezeichnet, womit man in den insgesamt sechs Stücken rechnen darf: Agonie, Verzweiflung, Melancholie und Urgewalt; ein inbrünstiges, sengendes Feuer in Wort und Klang.
Das vortrefflich betitelte „With Knives To The Throat And Hell In Your Heart“ tritt direkt zu Beginn ein unbändiges Gewitter los, bei dem Ultha deutlich machen was hier Programm ist: Keine Wanderung ohne Hindernis, ohne möglichen Verlust, ohne Schmerz und genau das wird nicht nur lyrisch, sondern instrumental perfekt dargebracht.
Beim dritten Track des Albums angekommen, lässt „There Is No Love, High Up In The Gallows“ kurz innehalten: Dieses Interludium markiert die Hälfte dieser schwarzgetränkten Reise und besticht mit seinen düsteren Ambient-Sounds, welche entfernt an atmosphärischen Funeral Doom à la Darkflight oder Projekten wie Stellardrone erinnern. Dieser dezente Stilbruch ist bei weitem kein Novum in der modernen Black Metal-Szene und sollte daher an seiner kompositorischen Qualität gemessen werden. Und verdammt, diesbezüglich punkten Ultha einmal mehr, denn so unsagbar brillante Vorarbeit die ersten beiden Songs der „Inextricable Wandering“ geleistet haben, umso faszinierender und beinahe hypnotisierend kommt „There Is No Love, High Up In The Gallows“ mit seinen scheinbar aus dem Äther stammenden Klängen, seiner bedrohlichen Stimmung und der Kunde möglicher, künftiger Katharsis daher.
Wir werden langsam, doch unnachgiebig zu „Cyanide Lips“ getragen, das den geneigten Hörer mit dem brachialen Aufgebot aller Instrumente beinahe hin fortzufegen droht. Peitschend treiben die hämmernden Drums, gekonnt gesetzte Synths und der nervenzerreißende Gitarren-Einsatz den Rezipienten voran, bis am Ende nur noch nagende Riffs übrig sind, um davon zu zeugen, welcher Sturm eben in den letzten achteinhalb Minuten gewütet hat.
Wer bis hierhin dachte, dass Ultha nach drei unbarmherzigen Songs sowie einer nahezu transzendentalen Exkursion ihr gesamtes Pulver verschossen haben, irrt gewaltig. „We Only Speak In Darkness“ bricht einmal mehr mit der gewohnten Gangart und lässt in meinen Augen und Ohren durch seine den Dark Folk beschwörende Melodie das Bild eines einsamen Wanderers, irgendwo zwischen Plateaus, Wüsten, Zeit und Raum aufkeimen. Im letzten Viertel wird die Struktur noch einmal aufgebrochen und mit kraftvollem Spiel und Gesang das baldige, zumindest vorläufige Ende dieser Wanderschaft eingeläutet.
„I’m Afraid To Follow You There“, das letzte Liedgut der Platte, könnte nicht besser benannt sein. So verkündet allein das omenhafte Saitenspiel zu Beginn das nahende Ende und die möglichen Dinge, die es bereithalten könnte. Noch vor der Zwei-Minuten-Marke gesellen sich Schlagzug und Synths dazu, steigern sich und reizen den Moment, die Ruhe vor dem Sturm, vollends aus… bis dieses Wechselspiel ab Minute 5 wahrlich aufbricht und in dem furiosen Finale kulminiert, das dieses Machwerk musikalisch sowie narrativ mehr als verdient hat.
Da ist keine Liebe, droben an den Galgen
Spätestens seit der „Converging Sins“ verstehen sich Ultha meisterlich auf das Erschaffen von Konzeptalben. Jegliche rohe Energien und Emotionen münden in ein Wechselspiel aus zermürbenden Screams, vernichtendem Rhythmus und letztlich dem Darlegen einer Geschichte mithilfe musikalischer Erzählkunst. Von der ersten bis zur letzten Minute wissen Tracks wie der Opener „The Avarist (Eyes Of A Tragedy)“ und „Cyanide Lips“ mit albtraumhaften Riffs, ungnädigem Bass und endzeitlichem Einsatz des Schlagzeugs zu überzeugen, während sie um meisterlich gestreute, unaufdringliche Synths ergänzt werden, welche im harmonischen Verbund den roten Faden der „The Inextricable Wandering“ vorantreiben.
„There Is No Love, High Up In The Gallows“ als auch „We Only Speak In Darkness“ stechen aus diesem Meer übermächtiger Klänge heraus, da sie zum einen den Weg – diese sprichwörtliche und namensgebende Wanderschaft – unterstreichen und zum anderen für einen genretechnisch leichten Exkurs sorgen, was diesem Album zusätzlich eine leichte experimentelle Note aufdrückt, die selbst ohne vonnöten zu sein für zusätzliche Abwechslung sorgt. Dieses Gespür für ein Gesamtkonzept, das auf vielen wunderbar arrangierten Elementen ruht, verdient besondere Anerkennung.
So steht mit „The Inextricable Wandering“ ein weiteres Ultha-Album für exzellenten Black Metal, in dessen Sound die Thematik menschlicher Abgründe mehr als passend gekleidet wurde und sich textlich wie instrumental auf höchstem Niveau befindet. Zudem fungiert die Scheibe sowohl in ihrer gesamten Laufzeit von knapp 69 Minuten und in sich geschlossen wunderbar als hörbarer Trip, funktioniert jedoch auch losgelöst beim Konsum einzelner Songs eigenständig und verlustfrei.
Dieses Album sei somit Genre-Freunden allgemein, Fans der Band und mehr noch Hörern ans Herz gelegt, die dieses gewisse Etwas in musikalischen Konzepten suchen; jenen Seelen, die sich auf eine stygische Wanderschaft begeben möchten, bei der zumindest die Musik perfekt im Gehörgang sitzt, man sich im besten Falle jedoch auch selbst (wieder-)finden kann.
Cover-Artwork & Tracklist
01 – The Avarist (Eyes Of A Tragedy) | 14:55
02 – With Knives To The Throat And Hell In Your Heart | 10:57
03 – There Is No Love, High Up In The Gallows | 06:57
04 – Cyanide Lips | 09:23
05 – We Only Speak In Darkness | 07:27
06 – I’m Afraid To Follow You There | 18:50
Total: 01:08:29
Bildnachweis: Deathless Pictures, Century Media.