Unto Others – „Never, Neverland“ (VÖ: 20.09.2024)
Eines vorneweg: Unto Others würde ich jederzeit bedenkenlos als meine momentane absolute Lieblingsband bezeichnen. Kennengelernt mit ihrem letzten Studioalbum „Strength“, hat mich die Truppe aus Portland, Oregon schnell in ihren einzigartigen Bann gezogen und zum riesigen Fanboy avancieren lassen. Eine Band, die nicht nur genau meinen Nerv und Geschmack, sondern mitten ins Herz trifft. „Strength“, die Debut-LP „Mana“ (damals noch unter dem Bandnamen Idle Hands erschienen), sowie die zahlreichen EPs der Band laufen bei mir fast täglich rauf und runter und – wie auch immer das überhaupt möglich ist – ein Satthören scheint es für mich einfach nicht zu geben.
Entsprechend sei hiermit sämtliche Objektivität schon mal direkt aus dem Fenster geschmissen. Unnötig zu erwähnen, handelt es sich bei „Never, Neverland“ um mein mit Abstand meisterwartetes Album des Jahres.
Gothic Rock auf Steroiden
Aber der Reihe nach. Möchte man Unto Others stilistisch einordnen, fällt unweigerlich der Begriff Gothic. Retroaffiner Gothic Rock auf Steroiden, garniert mit einer mal mehr, mal weniger präsenten Portion klassischem Heavy Metal. Da wären zum einen die prägnante, angenehm tiefe Gesangsstimme von Frontmann Gabe Franco, die melancholisch düstere Stimmung, die melodischen, in Chorus und Hall getränkten Clean-Gitarren, Twin-Leads und die gelegentlichen Ausbrüche metallischer Härte. Das alles verpackt in höllisch eingängiges Songwriting mit mitunter geradezu poppigen Tendenzen.
Diese finden auf „Never, Neverland“ mehr und mehr Einzug. Wo „Mana“ noch in erster Linie als Metalalbum durchging, „Strength“ die Härte zum Teil noch weiter anzog, aber auch vermehrt in rockigen Gefilden unterwegs war, würde ich die neue Platte vordergründig als Rockalbum bezeichnen. Ein Rockalbum, dass sich sowohl im Metal wohlfühlt, aber auch ungeheuer poppig daherkommen kann. Das mag für die ein oder anderen bereits ein vernichtendes Fazit sein und Unto Others für alle Ewigkeit als Poserband und Verräter brandmarken, soll aber noch rein gar nichts über die Qualität der Platte aussagen. Wie denn auch. In jedem Fall sollte man aber die Erwartungen an die Härte etwas zurückschrauben. Wer damit leben kann, dem erwartet – Achtung, Spoiler – ein weiteres großartiges Album im Schaffen von Unto Others.
Ernüchterung?
Dabei ließen mich die ersten drei Singles anfangs zugegebenermaßen jeweils ein wenig ernüchtert zurück. „Butterfly“ – erste Single und gleichzeitig Opener der Scheibe – vereint zwar alle Trademarks der Band, konnte mich mit seinem überaus simpel gestrickten Refrain aber anfangs nicht so ganz vom Hocker hauen. Trotzdem erwischte ich mich dabei, immer und immer wieder zu der Nummer zurückzukehren und sie kurze Zeit nach dem nicht ganz überzeugten Ersteindruck nicht mehr aus dem Kopf zu bekommen.
Diesen Ersteindruck habe ich aber generell sehr gelassen genommen, da Unto Others für mich seit jeher eine Grower-Band darstellt, deren Songs sich erst entfalten und bereits auf den Vorgängern beim ersten Hören oft nicht direkt in aller Gänze zündeten. Zwar erreicht der Song, allein schon durch seine weniger brachiale und eher gefühlvoll melancholische Ausrichtung, nicht die Stärke und Wucht der vergangenen Opening Tracks „Nightfall“ und „Heroin“, geht aber trotzdem als höllisch ansteckender Hit und Ohrwurm durch. Wenngleich sich dieses Gefühl eben nicht von Anfang an einstellte.
Dass „Raigeki 雷撃“ (benannt nach einer Yu-Gi-Oh!-Karte) ebenfalls ein paar mehr Durchläufe brauchte und sich der Song anfangs nicht so recht in meinen Gehörgängen festsetzen wollte, kann ich mir im Nachhinein noch viel weniger erklären. Große Melodien, großer Refrain und alles in allem ein grundtypischer Unto Others-Song, veredelt durch ein pompöses, wah-getränktes Solo von Saitenhexer Sebastian Silva. „Angel of the Night“ als dritten Vorboten ins Rennen zu schicken war, in Anbetracht so manch kommender Hits auf dem Album, eine mutige Entscheidung, als wirklich schöne, gänzlich unmetallische Ballade stellt sie aber auch auf die insgesamt ruhigere Gangart vieler Stücke ein.
„Das ist kein Metal mehr!!!“
Nachdem die ersten drei Singles sich alles in allem als eher harmlos entpuppten und Stimmen laut wurden, die Band sei „nicht mehr Metal“, kam mit „Momma Likes the Door Closed“ der Schlag ins Gesicht in Form eines Hybriden aus Horrorpunk und Thrash Metal. Heftige Riffs und Soli, die schlicht das Prädikat „metal as fuck“ verdienen und dazu schön alberne Lyrics mit 80er B-Movie-Charme. Obendrauf natürlich ein waschechter Ohrwurm-Refrain und fertig ist eine extrem spaßige Haudrauf-Nummer, die man so nicht von der Truppe erwartet hätte.
Damit war die Vorfreude dann endgültig komplett. „Buttferfly“, „Momma Likes the Door Closed“ und „Angel of the Light” bilden auch gleichzeitig das Opening-Trio des Albums. Danach wird man in unbekanntes Terrain entlassen und ausgerechnet der direkt anschließende vierte Song entpuppte sich für mich direkt im ersten Durchgang als absoluter Überhit und dieser Status sollte sich mit den nächsten über 20 Hörgenüssen nur noch festigen: „Suicide Today“. Was man anhand des Titels vielleicht nicht unbedingt erahnen würde: Die Nummer ist unglaublich catchy und begegnet seine ernste, finstere Thematik mit einer erfrischenden, ansteckenden Positivität und Leichtigkeit, gespickt mit einer guten Portion makaberem Humor. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Fans des bisherigen Schaffens der Band irgendetwas an diesem Knaller auszusetzen haben können.
Mit dem nachfolgenden „Sunshine“ sieht das jedoch ganz, ganz anders aus. Harmloser, verträumt melancholischer, gleichzeitig fast schon fröhlicher Gothic-Pop-Rock, der manchen mit Sicherheit ein paar Stufen zu gefällig rüberkommen wird. Mich aber erreicht die Nummer auf ganzer Linie und lässt mich nur noch mehr den imaginären Hut vor Gabe Francos Songwriting-Fähigkeiten ziehen. „Cold World“ geht in eine vergleichbare Richtung und verzichtet ebenso völlig auf Metal-Elemente, die man aber auch keineswegs vermisst.
Zwischen Experimenten und Vertrautem
„When the Kids Get Caught“ ist ein äußerst interessantes, düsteres Stück zwischen Post-Punk und Gothic Rock, dass mit seinen rätselhaften, bildhaften Lyrics einige große Fragezeichen aufwirft, aber wahnsinnig stimmig aus den Boxen tönt. Durch Francos tiefe Stimme und einige unglaublich coole Gitarrenläufe ergibt es eines der herausstechendsten Lieder des Albums. Das folgende kurze „Flatline“ bildet den ultimativen Kontrast und zieht mit seinen Hardcore- und Black-Metal-Anleihen härtetechnisch alle Register, möchte für mich persönlich aber nicht über den Status eines netten, aber etwas verzichtbaren Zwischenstücks hinauskommen.
„Time Goes On“ bietet danach wieder typischen Unto Others-Sound pur. Und auch hier lässt einem das Gefühl nicht los, Gabe hatte das Bedürfnis, mit seinen Texten ein paar positive Vibes und Messages loszuwerden. Ich jedenfalls nehme diese mehr als dankend an. So oft wie er betont, dass alles in Ordnung sein wird, kann man nicht anders als selbst daran zu glauben.
Das Schlusslicht (zumindest der physischen Versionen) bildet wie immer der Titeltrack, der passend zu einigen der vorangegangenen Tracks entspannt unaufgeregt daherkommt und sich zwar nicht unbedingt zum großen Hit entfaltet, vor allem aber seine Stimmung sprechen lässt. Hört man die digitale Version des Albums, wartet am Ende noch ein Cover des Ramones-Klassikers „Pet Sematary“, was von Grund auf ein Song ist, der perfekt zu Unto Others passen müsste, tatsächlich machen sie sich die Nummer aber noch viel mehr zu eigen als ich gedacht hätte, was wunderbar funktioniert.
Fazit
Die Tracklist von 16 Liedern mag vielleicht auf dem ersten Blick etwas erschlagend erscheinen, tatsächlich ist „Never, Neverland“ aber nur minimal länger als sein Vorgänger. Bei zwei der Stücke handelt es sich lediglich um knapp einminütige instrumentale Interludes, welche die folgenden Songs sinnvoll ergänzen und stimmig einleiten. Bei den meistens Songs landet man bei kompakten um die drei Minuten und gefühlt haben diese allesamt keinen einzigen Gramm Fett zu viel an sich. Das Album hat einen wunderbaren Hörfluss und nicht selten bin ich nach dem Durchhören verleitet es einfach direkt nochmal zu hören. „Never, Neverland“ ist das bislang vielfältigste und stimmungstechnisch leichteste Werk der Band. Der kristallklare und detailverliebte Sound, den Produzent Tom Dalgety der Platte verpasst hat, passt dabei zu 100% und lässt das Album nochmal größer und wertiger wirken als seine Vorgänger.
Star und Aushängeschild der Truppe ist zwar ganz klar Gabe Franco, aber auch seine Bandkollegen liefern hier Großes ab. Besonders Lead-Gitarrist Sebastian Silva zaubert hier einige seiner bisher stärksten und erinnerungswürdigsten Soli aufs Griffbrett. Mal technisch anspruchsvoll, mal simpler gestrickt, aber immer stilsicher, songdienlich und eine echte Bereicherung.
Mit der Höchstwertung möchte ich mich trotz allem überschwänglichen Lob lieber zurückhalten, da „Never, Neverland“ für mich ein kleines Stück hinter seinen beiden Vorgängern anzusiedeln ist. Besonders „Strength“ wird für mich so schnell kein Album einholen. In jedem Fall ist „Never, Neverland“ aber ein sehr, sehr starkes Album mit großer Hitdichte und schafft es, sich sowohl von den vorangegangen Alben abzuheben, als auch eine stimmige, fast ebenwürdige Nachfolge anzutreten. Songs wie „Suicide Today“, „When the Kids Get Caught“, „Raigeki 雷撃“, „Momma Likes the Door Closed“ oder „Cold World“ sind auf ihre Art allesamt erstklassig und nicht wenige Lieder bleiben noch lange nach dem Hören im Kopf. Der Metal-Anteil mag insgesamt zurückgefahren worden sein, an der großen Qualität des Songwritings hat sich aber rein gar nichts geändert.
Cover & Tracklist
01 Butterfly
02 Momma Likes the Door Closed
03 Angel of the Night
04 Suicide Today
05 Sunshine
06 Glass Slippers
07 Fame
08 When the Kids Get Caught
09 Flatline
10 Time Goes On
11 Cold World
12 I Am the Light
13 Farewell…
14 Raigeki
15 Hoops
16 Never, Neverland
17 Pet Sematary (Digital Deluxe Bonus)
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Bildnachweis: Century Media.
+ Große Hitdichte
+ Starke Gitarrensoli
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- Moshcheck