Wacken Open Air 2023
Das Wacken Open Air 2023 wird in die Geschichte des Festivals eingehen, so viel ist sicher. Wenn auch aus den falschen Gründen. Dem Festival vorausgegangen ist wochenlanger Dauerregen, welcher das Gelände in ein einziges Meer aus Matsch verwandelte und das Befahren der Campingplätze bereits am Montag – dem ersten offiziellen Anreisetag – massiv erschwerte, bis es letztendlich zum vollständigen Anreisestopp kam. Noch vor eigentlichem Festivalstart wurde die Reißleine gezogen und über 20.000 Fans konnten dem Festival nicht beiwohnen. Eine absolute Katastrophe und ein Novum in der Geschichte des Wacken Open Airs.
Ich gehörte zu den Glücklichen, die bereits am Montag Morgen anreisten und sich nach zwei Stunden Stau auf dem Campingplatz einnisten konnten. Nur wenige Stunden später durften Fahrzeuge bereits nur noch per Abschleppseil auf die Campingwiesen befördert werden und viele Leute mussten über zehn Stunden in ihren Autos ausharren, bis sie endlich auf dem Feld waren.Auch am Dienstag änderte sich die Wetterlage nur bedingt und nachdem irgendwann alle Anreisenden darum gebeten wurden, wieder umzukehren, bzw. ihre Anreise gar nicht erst anzutreten, habe ich eigentlich auch gar nicht mehr damit gerechnet, dass das Festival überhaupt noch stattfinden würde. Es schien als sei Wacken vorbei, bevor es überhaupt anfangen konnte.
Am späten Abend habe ich mich dann noch quer durch den Schlamm runter vom Festivalgelände gekämpft und mich zum 20 Minuten entfernt gelegenen Landgasthof Wacken begeben. Dort haben die Schleswiger Thrash-Metal-Lokalhelden Rezet eine Warm-Up-Show gegeben und für mächtig Stimmung gesorgt. Nach einem Hammerkonzert und einem kurzen Plausch mit Basser Lorenz ging es dann durch Regen, Matsch und Dunkelheit zurück ins Camp. Danach war mir dann auch klar, dass ich das Camp nicht noch einmal ohne Gummistiefel verlassen würde, denn meine Sicherheitsstiefel und Jeans haben diese nächtliche Wanderung nicht überlebt und wurden, bestialisch stinkend und in dicker Matschschicht eingehüllt, für den Rest des Festivals in Mülltüten verbannt.
Mittwoch
Das organisatorische Chaos hielt auch Einzug auf die Running Order am ersten Festivaltag. Ursprünglich sollte am Mittwoch nur eine der drei Hauptbühnen – die Louder-Stage – bespielt werden. Nachdem noch am Montag weitere Bands für den Mittwoch angekündigt wurden, haben sich auch die Spielzeiten massiv geändert und einige Acts wurden auf die größere Faster-Bühne verfrachtet. So weit, so gut. Nun hätten eigentlich Holy Moses um 16 Uhr die Faster-Stage nach Eröffnung des Infields einweihen sollen. Die Öffnung verzögerte sich aber noch für eine ganze Weile, sodass der Auftritt von Holy Moses letztendlich bis in die Nacht verlegt wurde. Stattdessen waren die britischen Nu Metaller Skindred die erste Band, die auf der Faster-Stage loslegte, nachdem das Infield zwei Stunden später als geplant geöffnet wurde und die Fans zur Bühne stürmen konnten. Die laufende Aktualisierung der Running Order in der offiziellen Wacken-App ließ dabei zu wünschen übrig, sodass nicht immer ganz klar war, wann nun welche Band eigentlich spielt.
Immerhin lief auf der kleineren Wasteland-Stage alles nach Plan. Diese hatte am Mittwoch eine Knallerband nach der nächsten zu bieten. Meine erste Anlaufstelle waren die belgischen Death-Thrasher Schizophrenia, die – ihrem Namen gerecht – ein gnadenloses Gekloppe der Marke Sepultura vom Stapel ließen. Noch dazu haben sie den vielleicht bestgelaunten Schlagzeuger, den ich jemals gesehen habe.
Danach hat es mich als völliges Kontrastprogramm zu Skindred verschlagen, die ich mir eigentlich nur als Überbrückung bis zum Auftritt von Knife anschauen wollte, die sich aber als echte Stimmungsgranaten entpuppt haben. Nur bedingt meine Musik, aber live ein wahrer Gute-Laune-Magnet mit einem extrem unterhaltsamen Frontmann.
Zurück zur Wasteland-Stage waren Knife an der Reihe, die mit ihrem Mix aus Black Metal, Thrash und Punk für jede Menge Stimmung gesorgt haben. Mein persönliches Highlight folgte aber im Anschluss mit den großartigen Bütcher, die mich mit ihrem angeschwärzten, räudigen Speed Metal, der krassen Bühnenpräsenz von Frontmann R Hellshrieker und ihren wahnsinnig mitreißenden, eingängigen Songs wieder komplett in den Bann gezogen haben. Ich glaube und hoffe, dass die Belgier mit diesem Auftritt jede Menge neue Fans dazugewonnen haben. Der ältere Herr, dem ich Band vor dem Auftritt angepriesen habe, war jedenfalls völlig begeistert. Wacken ist eben auch ein Platz für solche Juwelen, fernab des Mainstreams.
Zum Ausklang des Tages und nach so viel Geballer waren die Uralt-Doom-Veteranen Pentagram genau das Richtige. Die haben ihr 50-jähriges Jubiläum gefeiert und obwohl Bobby Liebling anzumerken ist, dass er in dieser Zeit so ziemlich jede erdenkliche Droge in Massen zu sich genommen hat, macht er als Sänger und exzentrischer Frontmann immer noch eine Spitzenfigur. Trotz einiger wirklich wirren Ansagen.
Donnerstag
Wo sich das Wetter am Mittwoch bereits etwas beruhigt hat, ging es von Donnerstag an deutlich bergauf und man musste nicht mehr mit ständigen krassen Regenschauern rechnen. Meine erste Band am Donnerstag waren die schwedischen Melodic-Death-Metal-Größen Dark Tranquillity, die zu meinen meisterwarteten Bands des Festivals gehörten und viele Hits zum besten gegeben haben, jedoch im Mix leider viel Gitarrenpower vermissen ließen. Dafür war Sänger Mikael Stanne super aufgelegt und hat bei sichtbar bester Laune in seinen derben Screams und gefühlvollem Klargesang voll überzeugt.
Auf der Wasteland-Stage gab es dann allerfeinsten klassischen Heavy- und Speed Metal von den Kanadiern von Riot City auf die Ohren. Mit maximaler Spielfreude (und wahrscheinlich nicht ganz nüchtern) haben die Chaoten vollkommen abgeliefert. Wer bei Knallern wie „Burn the Night“ oder „Eye of the Jaguar“ nicht mitgeht, dem ist sowieso nicht zu helfen. Jordan Jacobs‘ unglaublicher Falsettgesang hat bei mir das ein oder andere Mal für Gänsehaut gesorgt.
Die hatten sicherlich auch viele Fans beim Auftritt von HammerFall, ich dagegen habe mir die Schweden ehrlich gesagt eher uninteressiert am Rande angeschaut, um bei den direkt im Anschluss nebenan spielenden Kreator einen guten Platz zu ergattern. Die Essener haben eine starke Show abgeliefert, auch wenn mich die neueren Songs der Band, die sich vor allem in der Mitte des Sets ansammelten, eher kalt ließen. Nummern wie „People of the Lie“, „Violent Revolution“, „Extreme Aggressions“ oder natürlich das abschließende „Pleasure to Kill“ sind aber unwiderstehliche Brecher, die die Alt-Thrasher immer noch mit jeder Menge Power auf die Bühne bringen. Einzig „Riot of Violence“ habe ich persönlich sehr vermisst.
Dann war es Zeit für den großen Headliner des Abends mit einer weiteren der größten Metalbands, die Deutschland zu bieten hat: Helloween mit ihrem zweiten Wacken-Auftritt in ihrer Pumpkins-United-Besetzung. Zugegeben, der Einstieg mit dem extrem langen „Skyfall“ hat sich irgendwann dann doch etwas gezogen und vielleicht hätte man die (eigentlich großartige) Nummer nicht unbedingt in voller Länge darbieten müssen. Die Übersongs „Eagle Fly Free“ und „Future World“ haben das aber mehr als wett gemacht. Ein Highlight für mich war aber das Medley aus Stücken der genialen ersten zwei Platten der Band, der „Helloween“ EP und „Walls of Jericho“. So gerne ich persönliche Favoriten wie „Victim of Fate“ oder „Gorgar“ zwar in voller Länge gehört hätte, so froh bin ich dennoch, dass diese Songs überhaupt diese Aufmerksamkeit bekommen. Es folgten großartige Songs wie „Best Time“, „Keeper of the Seven Keys“ und natürlich „I Want Out“, es gibt aber eine Sache an dieser Show, die man wirklich nicht unerwähnt lassen darf… Wer bitte ist für diese grässlichen überdimensionalen 3D-Visuals verantwortlich, die zu jedem Song im Hintergrund abgespielt wurden? Gut, wahrscheinlich, genau derjenige, der für so scheußliche Plattencover wie von „Straight out of Hell“ verantwortlich ist. Ich war jedenfalls nicht selten geradezu fasziniert von den Playstation 2-Grafiken, mit oftmals geringstem Animationsaufwand, die dort zur Schau gestellt wurden. Wie gut, dass sich Helloween ohnehin nicht allzu ernst nehmen, sodass das doch noch irgendwie verzeihlich und etwas weniger peinlich ist. Schön ist dennoch etwas (ganz) anderes.
Freitag
Man mag es kaum glauben, aber am Freitag ist der Matsch vielerorts tatsächlich wieder zu trockenen Sand geworden und abgesehen vom Infield ließen sich die meisten Orte sogar wieder ohne Gummistiefel betreten. Mich hat es an diesem Tag ausschließlich zu den großen Hauptbühnen verschlagen. Das Programm war hochkarätig: Trivium, Megadeth, Iron Maiden.
Von all den tollen Bands, die ich auf diesem Festival sehen konnte, war Trivium wohl die, von der ich mir am liebsten direkt eine lange Headliner-Show angeschaut hätte. Zum einen weil sie schlicht und einfach eine tolle Liveband sind, vor allem aber auch weil sie extrem viele starke Songs im Repertoire haben, von denen sie viele natürlich außen vor lassen mussten. Auch mit fehlenden Backing-Vocals von Bassist Paolo Gregoletto, der krankheitsbedingt kurzfristig durch Malevolence-Gitarrist John Baines ersetzt werden musste, haben die Amis eine starke Show mit sichtbarer Spielfreude hingelegt.
Als nächstes waren für mich die Thrash-Legenden Megadeth an der Reihe. die ein Set ausschließlich aus großartigen Knallersongs gespielt haben. Wenn „Angry Again“ der schwächste Track ist, muss das schon etwas bedeuten. Zu „Trust“ kam dann die große Überraschung und der legendäre ehemalige Leadgitarrist Marty Friedman betrat die Bühne. Im Vorfeld hatte ich bereits fest mit diesem Gastauftritt gerechnet, da Friedman schließlich auch einen Solo-Auftritt auf dem Festival hinlegen sollte und es Anfang des Jahres bereits eine Live-Reunion in Friedmans Wahlheimat Japan gegeben hatte. Das hatte ich bis zum Zeitpunkt des Megadeth-Auftritts aber bereits wieder völlig vergessen, sodass die Überraschung auch für mich komplett war. Zusammen haben sie die Klassiker „Trust“, „Tornado of Souls“ und „Symphony of Destruction“ zum Besten gegeben. Am Ende des Sets kehrte Marty noch einmal für den Übersong „Holy Wars …the Punishment Due“ zurück. Besonders das legendäre Solo von „Tornado of Souls“ dürfte wohl einer meiner schönsten Konzertmomente überhaupt sein. Dave Mustaine mag stimmlich vielleicht nicht mehr in Topform sein, ich persönlich konnte mit seiner Gesangsleistung aber gut leben.
Im Anschluss war es dann Zeit für DIE großen Headliner des Festivals: Iron Maiden. Leider nicht für den Rest der Welt als Stream verfügbar, haben die britischen Altmeister eine eindrucksvolle Show abgeliefert und für die Hintergrund-Visuals sichtbar ein paar mehr Cent in die Hand genommen als Helloween. Schlagzeuger Nicko McBrain, der sich von einem Schlaganfall erholt, hat sich tapfer geschlagen. Ein paar merkbare Verspieler haben sich zwar eingeschlichen, aus diesen konnte er sich aber wieder souverän herausretten. Die Setlist war dominiert von der aktuellen Scheibe „Senjutsu“, aus der sie fünf Stücke gespielt haben, darunter auch das in meinen Augen ganz fantastische Epos „Hell on Earth“. Genauso prominent vertreten war aber auch die 1986er Platte „Somewhere in Time“, welche ebenfalls mit fünf Liedern vertreten war. Einige große Klassiker wurden dabei überraschenderweise außer Acht gelassen: „The Number of the Beast“, „Run to the Hills“, „Hallowed be thy Name“, „2 Minutes to Midnight“, „Wrathchild“, … Alles Fehlanzeige. So liebend gerne ich diese unsterblichen Klassiker bei meiner ersten Maiden-Show gehört hatte, allein schon „Fear of the Dark“ oder „The Trooper“ live zu erleben, werde ich aber so schnell nicht wieder vergessen. Auf dass uns diese alten Recken noch lange in Topform erhalten bleiben.
Samstag
Den letzten Festivaltag habe ich die meiste Zeit vor der Louder-Stage verbracht. Angefangen mit den New Yorker Metallic-Hardcore-Legenden Biohazard, die in ihrer klassischen Besetzung wiedervereint sind und in dieser auch ein neues Album in Angriff nehmen werden, wie sie mit Freude verkündet haben. Wenn sie dort die gleiche Power reinstecken, die sie auch auf der Bühne zum Besten geben, dann kann man sich darauf mit Sicherheit sehr freuen.
Die Death-Metaller Kataklysm haben auch ein neues Album am Start und daraus den Brecher „Bringer of Vengeance“ live präsentiert. Die Kanadier haben ein solides Set runtergespielt und gerade Sänger Maurizio Iacono hat eine gute Figur gemacht. Die Band steht für stumpfe, tighte Chugging-Riffs und gelegentliche melodische Einlagen, wobei so manche Stücke sich doch etwas gleichförmig anfühlen können. Besonders die Songs der Knallerscheibe „Serenity in Fire“ machen aber live jede Menge Laune.
Das größere Death-Metal-Highlight folgte im Anschluss mit den Urvätern des Genres: Possessed. Gesundheitliche Rückschläge können Jeff Becerra nicht davon abhalten, auf der Bühne die Zeit seines Lebens zu haben. Klassiker wie „Death Metal“, „The Exorcist“ und „Fallen Angels“ oder auch die Stücke der Comeback-Platte „Revelations of Oblivion“ verlieren live nichts von ihrer derben Durchschlagkraft; im Gegenteil.
Bevor ich mich dann am späten Abend auf die Heimreise gemacht habe, musste ich mir aber noch unbedingt Der W anschauen. Welch besseren Abschluss kann es geben, als mit Songs, die man in- und auswendig kennt und bei denen man trotz bereits massiv angeschlagener Stimme jedes Wort mitsingt. Ein paar weniger Ansagen und vielleicht wäre noch eine Nummer mehr drin gewesen, aber so kennt man den Weidner nun mal.
Abschließende Worte
Das W:O:A 2023 war mein erstes Wacken überhaupt. Man könnte sagen, ich bin nun abgehärtet für alle kommenden Jahre. Trotz aller wetterlichen Ärgernisse und den vielerlei Kritiken, die von außen allzu gerne immer und immer Wacken entgegengeworfen werden, kann ich sagen: Ich hatte eine schöne Zeit und habe jede Menge tolle Bands aus allen erdenklichen Genres sehen können. Was ich dazu noch sehen konnte, waren zehntausende passionierte Fans, die allen Umständen zum Trotz, das Beste daraus gemacht haben und gefeiert haben, als wäre nichts gewesen.
Wacken ist Kommerz, das ist klar und darauf muss man sich einlassen. Das lassen einem aber auch die Preise für Gastronomie und Merch spüren. Immerhin kann die Auswahl sehr gelobt werden, denn auf dem riesigen Gelände ist wirklich für jeden etwas dabei. Krombacher als großer Sponsor taten ihr übriges, sodass der nächste Getränkestand stets in Sicht war.
Wer es noch ein bisschen exquisiter haben wollte, konnte am Krombacher Stammtisch Platz finden, mit Blick auf die zwei Hauptbühnen. Wenn man sich das Infield besonders Abends angeschaut hat, war überhaupt nicht wahrzunehmen, dass die Besucherzahlen in diesem Jahr erzwungenermaßen exorbitant geringer ausfielen als sonst. Gerade mit Blick vom Krombacher Stammtisch konnte man ein beeindruckendes Menschenmeer betrachten. Lediglich die teils spärlich besetzten Campingplätze ließen darauf schließen, dass dieses Wacken Open Air unter besonderen Bedingungen stattfand und viele draußen bleiben mussten. Der große Wermutstropfen war stets der, an die zu denken, die dieses Festival nicht miterleben konnten.
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